Vom Leben und Wirken von Kanonissen im frühen Mittelalter
– Ein Mosaikstein in der Geschichte von Oldenstadt -
Die Feierlichkeiten zum 1050-jährigen Jubiläum von Oldenstadt im Juni d.J. mit den vielfältigen Redebeiträgen zur hiesigen Siedlungsgeschichte, haben einen guten Nachklang. So hat die Frauengruppe der Gemeinde Oldenstadt Interesse daran, mehr über das Leben und Wirken der Kanonissen im frühen Mittelalter zu erfahren und stellte dafür weitere Nachforschungen an.
In Kirchenblättern, Zeitungsberichten und Forschungsarbeiten wurden interessante „Mosaiksteine“ aus der Geschichte Oldenstadts und dem frühmittelalterlichen „Kanonissenstift-Ullishusen“ zusammengetragen und beim Frauenfrühstück Ende Juli 2022 vorgestellt. Seither ist das Thema: „Vom Leben und Wirken von Kanonissen im frühen Mittelalter“ sowohl in Oldenstadt als auch über die Grenzen der Gemeinde aktuell und wird schon gut nachgefragt.
Die frühmittelalterliche Entstehungsgeschichte Oldenstadts ist - interessanter Weise – eng mit der Gründung des Kanonissenstifts verknüpft. In Geschichtsbüchern wird berichtet, dass der Verdener Bischof Brun I. (Bruno) das Stift auf seinem hiesigen Gut Ullishusen um 960/970 gegründet hat. Die Stiftung wurde der „Heiligen Mutter Maria“ und „Johannes dem Täufer“ geweiht. Von Bischof Brun I. wird zudem berichtet, dass er damals auch dafür gesorgt hat, dass das von ihm gegründete Kanonissenstift großzügig ausgestattet wurde und damit handlungsfähig war.
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Mehr als 170 Jahre – das ist eine Zeitspanne von gut sechs Generationen - haben die Kanonissen in Ullishusen/Oldenstadt maßgeblichen Einfluss auf die Gestaltung des gesellschaftlichen und religiösen Lebens ausgeübt. Die Gemeinschaft im Frauenstift war nach den Regeln des „ordo canonicus“ organisiert und durch eine rechtliche Sonderstellung - der „Immunität“ - abgesichert. Eine „Weltentsagung“ – wie in Klöstern - war von den Kanonissen nicht gefordert. Die Vielfalt der Aufgaben in einem Kanonissenstift erforderte eine entsprechende Struktur und Verantwortungsbereiche, an deren Spitze eine - vom Bischof bestätigte - Äbtissin als verantwortliche Leiterin und Repräsentantin des Stifts stand.
Die Leitung des neu gegründeten Kanonissenstiftes Ullishusen war damals auf die Äbtissin Aethelwi und ihrer Schwester Waltburga sowie dem Vogt Bodo übertragen worden. Leider sind keine Namen von nachfolgenden Äbtissinnen mehr bekannt, weil viele der Oldenstädter Dokumente aus dem Kanonissenstift verloren gegangen sind oder bei einem Brand vernichtet wurden.
Die Kanonissen haben mit der Wahrnehmung von kirchlichen Ämtern und diakonischen Aufgaben für Jung und Alt den Zusammenhalt im hiesigen Siedlungsgebiet begleitet und gefördert. Die vielfältigen Tätigkeitsfelder und Aufgaben von Kanonissen werden – in der heutigen Frauenstifts-Forschung - zusammengefasst unter den Bezeichnungen von: „Memoria, Bildung und Liturgie“.
Ø Das mittelalterliche Memorialwesen - kurz Memoria - umfasste alle Bereiche zur Sterbebegleitung, Trauerarbeit und Zeremonien zum Totengedenken.
Ø Kanonissenstifte gehörten in der damaligen Zeit zu den wenigen Stätten der Frauen-Bildung. Hier konnten Mädchen im Alter ab sieben Jahren aufgenommen werden.
Ø Zu den liturgischen Aufgaben gehörten Diakon-Dienste bei Taufen und beim Abendmahl und zum geistlichen Leben im Kanonissenstift zählte das dreimalige tägliche Gebet und das regelmäßige Fasten.
Ø Weitere Aufgaben der Stifte waren verbunden mit der geistlichen Versorgung für die vom Stift angestellten Arbeitskräfte, die im Siedlungsgebiet wohnten.
Im Jahr 1142 wurde urkundlich besiegelt, dass das Kanonissenstift Ullishusen in ein Benediktiner-Mönchskloster umgewandelt wurde.
Was damals aus den Kanonissen in Ullishusen/Oldenstadt geworden ist, ob sie enteignet und vertrieben wurden – wie es in anderen Stiften in der damaligen Zeit der Fall war – konnte aufgrund geringer archäologischer Forschung und fehlender historischer Dokumente bedauerlicher Weise bis heute nicht geklärt werden.
Die Spuren sind verwischt!
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Wertschätzung sichtbar machen!
Den Frauen des Oldenstädter Frauenkreises ist es nun umso wichtiger, die Aktivitäten von Kanonissen - den damaligen „Mit-Gründerinnen“ von Ullishusen/Oldenstadt - sichtbar zu machen und eine gleichberechtigte Wertschätzung für ihre Leistungen in Gesellschaft und Kirche zu Zeiten des frühen Mittelalters zu geben.
Dazu wird vorgeschlagen, bei nächstmöglicher Gelegenheit, zwei neue Straßen in Oldenstadt nach Kanonissen zu benennen. Dazu werden diese beiden Namen empfohlen:
>>> Aethelwi Strasse <<<
>>> Waltburga Weg <<<
So soll zukünftig an das historische Kanonissenstift Ullishusen öffentlichkeits-wirksam erinnert werden.
Das müsste doch möglich sein!
Text und Fotos: Anne Schorling,
Oldenstadt, 11.10. 2022