© Axel Hindemith (CC-by-sa-3.0 de)

Unsere Kirchen

Die Datierung der Georgskapelle in Gr. Liedern Von Matthias Friske, Karl-Uwe Heußner und Dirk Wübbenhorst

Vor geraumer Zeit wurde an dieser Stelle die mittelalterliche Glocke von Gr. Liedern vorgestellt. Dabei konnte auch eine genauere Datierung des alten Holzturmes der kleinen Kirche vorgenommen werden. Zur Erinnerung: Die Ständerkonstruktion dieses Turms stammt offenbar aus der Zeit um 1410 (Datum der Mittelstütze 1409 Waldkante), während der Glockenstuhl zwischen 1506 und 1526 aufgerichtet wurde. Da ein einzelner Sparren, der den Übergang zur eigentlichen Kirche bildet, mit einem Waldkantendatum von 1417 (also 1418 verbaut)
etwas jünger ist, stand die Frage im Raum, aus welcher Zeit eigentlich die kleine Backsteinkirche stammt. Ein zur Altersbestimmung beprobter Deckenbalken zeigte für eine Datierung zu wenige Jahresringe. Das Gebäude der kleinen Kapelle selber bietet für eine Datierung so gut wie keine Spezifika. Auf einem niedrigen Sockel aus unregelmäßigen Feldsteinen erhebt sich ein schlichter Backsteinbau, der dem Typ der Chorkirchen zugerechnet
werden kann. In diesem Fall schließt die Kirche nach Osten polygonal, also in einer etwas
aufwändigeren Form. Das Polygon wird von fünf Strebepfeilern umstanden, die schon von außen anzeigen, dass es im Inneren gewölbt ist. Zwei zugesetzte Spitzbogenfenster an den Seiten des Polygons, zeigen schlichtes zweibahniges Maßwerk, das jeweils von einem Okulus bekrönt wird. Diese wenigen Spezifika lassen ebensowenig eine nähere Datierung zu wie beim gestuften Spitzbogenportal der Südseite. Sämtliche anderen Öffnungen am Bau wurden später durchgreifend verändert. Die einfachen Formen könnten zwar auf eine ältere
Zeitstufe (also einen Zeitraum ab etwa 1300) verweisen, wurden aber auch später häufig genutzt, vor allem dann, wenn wenig Mittel zur Verfügung standen. Aufgrund der fehlenden äußeren Merkmale wurden die aus Backstein
gefertigten Kopfkonsolen, die als Auflieger für die Gewölberippen dienen, als Datierungshinweise genutzt. Sie finden sich in sehr ähnlicher Form – wenn auch aus anderem Material – in der Apostelkapelle der Uelzener St.-
Marien-Kirche. Deren Stiftung und Bau ist nun zufälligerweise gut schriftlich dokumentiert. Demnach wurde diese Kapelle auf Grund einer testamentarischen Verfügung des Uelzener Propstes Hermann Niebuhr kurz vor seinem Tod 1358 gestiftet. Folgerichtig vermutete man eine Abhängigkeit der Kapelle in Gr. Liedern und
datierte das Gebäude in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts. Diese Datierung konnte nun deutlich präzisiert werden, denn mittlerweile liegen drei aussagekräftige Dendro-Ergebnisse vom Dachstuhl der Kapelle selbst vor,
die zudem sämtlich auf dasselbe Datum verweisen. So datiert die Mittelstütze vor dem Polygon jahrgenau auf 1353 Waldkante, der Deckenbalken des dritten Gebindes von Ost erbrachte das Datum 1330 um/nach und fällt
damit offensichtlich in denselben Zeitraum, der Balken des vierten Gebindes datiert auf 1357 +/-10.5 Damit ist relativ sicher erwiesen, dass der Dachstuhl über der Kapelle im Jahr 1354 aufgebracht wurde, die Kirche also kurz zuvor erbaut worden ist, denn für das kleine Gebäude wird man keine allzulange Bauzeit vermuten dürfen.
Somit lässt sich feststellen, dass der zeitliche Bezug zur Apostelkapelle der St.-Marien-Kirche sogar noch enger ist, als es bislang vermutet wurde. Vor allem aber geht die zeitliche Verbindung in eine andere Richtung, denn die
Kapelle in Gr. Liedern ist älter als die Apostelkapelle in Uelzen. Propst Hermann von Niebur setzte im Juli 1358 sein umfangreiches Testament auf. Aus der Hälfte der zahlreichen Besitztümer, über die Hermann Niebur
verfügte, stiftete er an der Uelzener St.-Marien-Kirche eine neu zu erbauende Kapelle, bei der es sich um die bis heute erhaltene Apostelkapelle handelt (später auch Ellerndorffkapelle genannt). Mit dieser Urkunde gibt es einen bemerkenswert genauen Hinweis auf die Bauzeit dieser Kapelle und damit auch der im Zusammenhang
mit der Gewölbekonstruktion stehenden Kopfkonsolen. Wir wissen zwar nicht, ob die Bauarbeiten zur Zeit der Niederlegung dieses Testaments bereits angelaufen waren, dürfen aber davon ausgehen, dass sie spätestens unmittelbar darauf begannen. Das würde aber zugleich bedeuten, dass die kleine Kapelle in Gr. Liedern offenbar schon vor der Uelzener Apostelkapelle erbaut worden ist, demnach also keine bauliche Beeinflussung von Uelzen nach Gr. Liedern, sondern umgekehrt erfolgt ist. Die Frage, die sich nun stellt ist die, ob die Parallelen einzig und allein daher rühren, dass man lediglich auf regional verfügbare handwerkliche Ausführende zurückgriff – oder aber, ob auch der jeweilige Stifter und Finanzier derselbe war. Letztlich bleibt die Beantwortung dieser Frage zwar spekulativ, aber einen Bezug in die Stadt Uelzen wird man auch für
Gr. Liedern sicher voraussetzen dürfen. Was können uns die Charakteristika der Kapelle selbst noch für
Aufschlüsse geben? Zu konstatieren ist zunächst, dass in der Region Uelzen Backstein durchaus auch im ländlichen Bereich anzutreffen ist (vgl. Hanstedt II, Riestedt, Veerßen). In der unmittelbar benachbarten Altmark
ist das anders, denn dort findet sich nur in den Städten und Klöstern Backstein. Auch das vermutliche
St.-Georgs-Patrozinium der Kapelle könnte Rückschlüsse zulassen, denn es handelt sich um das typische Patrozinium der Spitäler für hochinfektiöse Krankheiten. Allerdings sind auch hier in der Region durchaus noch weitere ländliche Kirchen mit einem solchen Patrozinium zu nennen (Barum, Hanstedt I) und auch in der Altmark gab es offenbar etliche Dorfkirchen, die dem heiligen Georg geweiht waren (Depekolk, Hohenlangenbeck u.a.)
Trotzdem lässt die Kombination einer aus Backstein errichteten St.- Georgs-Kapelle unmittelbar vor
den Toren der Stadt Uelzen – zudem noch am Kreuzungspunkt zur Vorgängersiedlung Oldenstadt — in diesem speziellen Fall durchaus eine andere Vermutung zu. Uelzen verfügte seit spätestens 1322 über ein urkundlich gut bezeugtes Heilig-Geist-Spital. Heilig- Geist-Spitäler gehörten quasi zur „Standardausstattung“ eines städtischen Gemeinwesens. Seit der Zeit um 1300 wurde jedoch in den allermeisten Städten noch jeweils eine weitere karitative Einrichtung gegründet – die St.- Georgs-Spitäler (bzw. St. Jürgen), die für Kranke mit hochansteckenden
Erkrankungen gedacht waren und sich praktisch immer unmittelbar vor den Stadttoren ihren Standort fanden.
Uelzen erhielt der urkundlichen Überlieferung zufolge erst nach 1400 mit St. Viti eine solche Istitution, die sich westlich vor der Stadt befand. Dieser Gründungszeitpunkt für eine solche Einrichtung ist eigentlich 100 Jahre „zu
spät“. Es ist deshalb gut möglich, dass ein Stifter (Hermann Niebur? Ein anderer Uelzener Bürger?) bereits um 1350 plante, diese eigentlich für eine Stadt unerlässliche Einrichtung in Gr. Liedern einzurichten. Gerade die Mitte des 14. Jahrhunderts mit der sich ausbreitenden Pest war regelrecht prädestiniert für eine solche Gründung und auch andernorts wurden vor allem im zweiten Drittel jenes Jahrhunderts solche Spitäler eingerichtet. Wenn diese Hypothese stimmen sollte, dann war diesem Spital allerdings keine allzugroße Zukunft
bestimmt. Die Gründung muss dann schon relativ zeitig gescheitert sein; jedenfalls hinterließ sie keine Spuren in der urkundlichen Überlieferung. Auch dafür gibt es durchaus Beispiele: So gab es im altmärkischen Beetzendorf eine Georgskapelle, die nur vage in den Quellen erscheint, vermutlich dem örtlichen „Siechenhaus“ zugeordnet
werden kann und offenbar auch nicht allzulange Bestand hatte. Jedenfalls wurde kurz nach 1350 in Gr. Liedern zumindest eine Kapelle erbaut – egal ob als Kirche für die kleine dörfliche Gemeinde oder als Kapelle für ein vermutetes Spital, das dann in der zweiten Jahrhunderthälfte wieder eingegangen sein muss.
Literatur
Bachmann, Erich: Art. „Dorfkirchen“. In: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Bd. 4. Stuttgart 1958, Sp.
245–274.
Friske, Matthias; Heußner, Karl-Uwe: Die älteste Glocke des Kirchenkreises Uelzen? In: Der Heidewanderer
2020, Nr. 20, S. 79–80.
Friske, Matthias: Die mittelalterlichen Kirchen in der nordwestlichen Altmark. Geschichte – Architektur –
Ausstattung. Berlin 2021.
Urkundenbuch der Stadt Uelzen (Bearb.: Thomas Vogtherr). Hildesheim 1988. Vogtherr, Thomas: Uelzen. Geschichte einer Stadt im Mittelalter. Uelzen: Becker 1997.
Weiß, Gerd, u. a.: Georg Dehio. Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Bremen, Niedersachsen. Berlin/München 1992.
Anmerkungen
1. Friske/ Heußner 2020.
2. Zur Typologie der Dorfkirchen vgl. Bachmann, Sp. 251–259, speziell zur Chorkirche Sp. 256.
3. Vogtherr 1997, S. 70f.
4. Weiß 1992, S. 570.
5. Probenentnahme Dirk Wübbenhorst 12. 5. 2022, Gutachten Dr. Heußner vom 15. 5. 2022: 40819 Beginn 1266,
Ende 1309, 1330 um/nach, 40820 Beginn 1288 Ende 1340, 1357 +/-10, 40821 Beginn 1271 Ende 1353, 1353 WK.
6. UB Uelzen, Nr. 85, S. 84–91.
7. Friske 2021, S. 73f. Redaktion: Horst Hoffmann Gr. Liederner Str. 45, 29525 Uelzen Tel. (0581) 808-91 812
E-Mail: heidewanderer@cbeckers.de
www.az-online.de/heidewanderer
Die Datierung der Georgskapelle in Gr. Liedern Von Matthias Friske, Karl-Uwe Heußner und Dirk Wübbenhorst
Quelle: F.-P. Schultz
Klosterkirche „St. Johannes der Täufer“ in Oldenstadt
Die Klosterkirche Oldenstadt
ist ein Monumentalbau aus der Romanik, um 1150 aus Feldsteinen errichtet. Bis 1529 war sie die Kirche des Klosters Oldenstadt. Heute ist sie ein heller Raum für Gottesdienst und Stille und bietet durch ihre architektonische Konstruktion ein hervorragend akustisches Konzerterlebnis.Weitere Infos zur Klosterkirche bei Wikipedia.
Einen Panorama-Rundgang durch die Klosterkirche können Sie hier ansehen.
Quelle: F.-P. Schultz
Die Georgs-Kapelle in Groß Liedern
Die Georgs-Kapelle Groß Liedern
ist eine reizvolle Bauernkapelle aus dem 15./16. Jahrhundert, die dem Bauernheiligen Georg gewidmet wurde. Glanzpunkt ist bis heute der gotische Altarschrein aus der Zeit um 1520.
Weitere Infos zur Georgskapelle bei Wikipedia.
Zugang können Sie außerhalb der Gottesdienstzeiten im Pfarramt erbitten. Gruppenführungen sind gegen Spende auf Anfage möglich.

Die älteste Glocke des Kirchenkreises Uelzen? Glocke und Glockenturm von Gr. Liedern Von Matthias Friske und Karl-Uwe Heußner

In seiner Publikation „Die Glocken des Kirchenkreises Uelzen“ beschrieb Ernst Strasser 1962 den Bestand an Kirchenglocken in der Region Uelzen und kam dabei zu dem Ergebnis, dass die alte Glocke in der Kapelle von
Gr. Liedern ein Guss des 13. Jahrhunderts sei und damit die „älteste Glocke des Kirchenkreises“.  Diese Einschätzung ist bis heute maßgeblich geblieben. So wird noch immer im Wikipedia- Eintrag „Georgskapelle
Groß Liedern“ ausgeführt: „Die inschriftlose Glocke wird vermutungsweise in das 13. Jahrhundert datiert und stellt damit eventuell ,die älteste auf uns gekommene Glocke‘ im Landkreis Uelzen dar (Strasser)“. 
Die Kapelle und ihre Ausstattung 
Nun ist die Kapelle von Gr. Liedern tatsächlich ein bemerkenswertes Gebäude, das sich nicht nur durch diese Glocke, sondern zugleich durch seine Architektur und das Altarretabel auszeichnet.
Bei der Kapelle handelt es sich um einen Backsteinbau über einem Feldsteinsockel, der dem Typus der spätgotischen „Chorkirche“  zugerechnet werden kann, also einem Rechtecksaal mit – in diesem Fall – polygonalem 5/10-Schluss. Während der Rechtecksaal eine flache Decke hat, wird das durch einen gedrückten Spitzbogen abgetrennte Polygon von einem Rippengewölbe überspannt. Die maskenartig gestalteten Konsolsteine der Gewölberippen finden Parallelen sowohl in der Marienkirche von Uelzen als auch in
mehreren Kirchen in Salzwedel (St. Katharinen, St. Lorenz, Heilig-Geist-Kapelle). Im letzteren Fall stammen sie zumeist aus vom Anfang des 15. Jahrhunderts. Das spitzbogige Südportal ist noch bauzeitlich, während die
alten Spitzbogenfenster nur noch teilweise vermauert im Polygon erhalten sind und die gegenwärtigen
Fenster in ihrer rundbogigen Form als neuzeitlich anzusprechen sind. Die Kapelle wird im Dehio zwar in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert, besitzt aber so wenige bauliche Spezifika, dass sie durchaus auch erst aus der ersten Hälfte oder sogar der Mitte des 15. Jahrhunderts stammen könnte. Der Kirchenraum wird farbig
bestimmt durch den Gegensatz des weißen Saales zum kolorierten Chor mit rot abgesetzten Rippen und Rankenmalerei um fünf stichbogige Wandnischen. Der westlich vorgelagerte Turm ist ein mittelalterliches Holzgerüst, das nachträglich mit Backstein ummantelt wurde. Offenbar handelt es sich um eine Konstruktion
aus dem frühen 15. Jahrhundert, wie einige Dendrodaten belegen. Die Mittelstütze der Ostseite datiert auf 1409
Waldkante, ein Sparren an der Nordseite, der den Übergang zum Saal der Kirche bildet auf 1417 Waldkante. Damit ist der Holzturm noch vor dem in Böddenstedt bei Salzwedel von 1426d, der älteste hölzerne Turm im Raum des östlichen Niedersachsens und der Altmark. Die Differenz beider Daten ist gegenwärtig noch nicht ganz sicher zu deuten, aber doch wohl so zu erklären, dass der eigentliche Turm älter als das anschließende Kirchendach ist. Von diesem konnten bislang noch keine Hölzer datiert werden. Letztlich könnte dies ein Indiz dafür sein, dass die Kirche doch etwas jünger als angenommen ist und erst nach dem Holzturm in der gegenwärtigen Gestalt erbaut wurde. Wie ihr anzunehmender Vorgängerbau aussah – speziell die Frage, ob es sich schon um einen Massivbau oder nur eine Holzkirche handelte – muss gegenwärtig offenbleiben.
Ausstattung 
Deutlich jünger als die Innenkonstruktion des Turmes ist der Altar, der deutlichen Bezug auf das Patrozinium der Kirche nimmt. Das St.-Georgs-Patrozinium ist im norddeutschen Raum zwar das typische Patrozinium der Spitäler für hochinfektiöse Krankheiten, allerdings im ländlichen Raum um Lüneburg und Uelzen herum durchaus häufig anzutreffen (Barum, Eutzen, Gartow, Hanstedt I, Meinerdingen, Meinersen, Steinhorst,
Wichmannsburg). Auch in der westlichen Altmark scheint es im ländlichen Bereich durchaus anzutreffen
gewesen sein (Depekolk, Hohenlangenbeck, Thüritz). Das Retabel stammt aus dem frühen 16. Jahrhundert6 und zeigt in seinem Mittelschrein den Heiligen Georg hoch zu Roß über einem teufelartigen Drachen. Gerahmt wird die Szene von einer Anna Selbdritt und einer Maria mit Kind. In den Flügeln stehen vier weitere weibliche Heilige: Katharina (Schwert), Barbara (?, Buchbeutel), Maria Magdalena (Salbdose), Margarete (Fackel, Kette).
Die Rückseiten der Flügel zeigen zwei gemalte Bilder: eine stark zerstörte Kreuztragung (die gebeugte Gestalt von Jesus zu erkennen) und eine figurenreiche Kreuzigung. Die Rückseite des Schreines zeigt drei sehr verblasste
bärtige Heilige in Grisailletechnik ohne nähere Attribute sowie seitliche Rankenmalereien. Ob diese Bilder tatsächlich ein halbes Jahrhundert jünger sind als der übrige Schrein, muss offen bleiben.
Mittig auf dem Schrein steht ein spätgotischer Kruzifixus, der als gleichzeitig angesprochen wird.
Dieser Anbringungsort direkt auf dem Retabel ist im übrigen auch in der angrenzenden Altmark in einigen Fällen in ländlichen Kir80 Sonnabend, 16. Mai 2020 chen belegt (Groß Chüden, Dankensen, Darnebeck, Henningen).
Die Glocke
In der Aufstellung Strassers finden sich für den damaligen Kirchenkreis Uelzen mit seinen 38 Kirchen (der gegenwärtige ist deutlich größer) unter insgesamt 68 Glocken lediglich zehn Exemplare aus dem Mittelalter, also
der Zeit vor 1550. Unter ihnen sind datiert die Glocken von Masendorf (1485), Molzen (1510),
Nettelkamp (1521), Ostedt (1520), Rätzlingen (1491), Stederdorf (1520) und Veerßen (1332). Zu ihnen kommen noch die undatierten Glocken von Oldenstadt, Oetzen und eben Gr. Liedern, von denen die ersten beiden mit
guten Gründen in das 14. Jahrhundert gesetzt werden können.
Tatsächlich sind undatierte Glocken in der Regel älter als die inschriftlich datierten, was sicher auch Ernst Strasser zu seiner Einschätzung führte. Allerdings dürfte die Glocke in Gr. Liedern doch deutlich jünger sein, wie im Folgenden gezeigt werden wird. Bei ihr handelt es sich um ein mittelgroßes Exemplar mit einem unteren Durchmesser von 84 cm und einem Gewicht von 394 kg (Schlagton h1). Die Glocke hängt in einem alten
Glockenstuhl von drei Feldern, der dendrochronologisch auf 1516 +/-10 datiert wurde. Offenbar gab es also zu Beginn des 16. Jahrhunderts drei Glocken bzw. wurde das Geläut damals auf diese Zahl erweitert.
Allerdings ist sie nicht mehr am originalen Holzjoch befestigt, sondern an einem neuzeitlichen Stahljoch – ein Zustand, der unbedingt verändert werden sollte! Die Zeit des frühen 16. Jahrhunderts würde im übrigen sehr gut
zu den stichbogigen Formen der Backsteinumkleidung des Holzturmes passen.
Das Besondere an dieser einzigen erhaltenen Bronzeglocke in Gr. Liedern sind ihre sechs bis sieben Pilgerzeichen. Fünf dieser Pilgerzeichen konnten bislang identifiziert werden, zwei Herkunftsorte sind noch unbekannt:
> Marienwohlde bei Mölln (Figur der Birgitta in dreieckiger Maßwerknische mit Astwerk), 
> Thann im Elsaß (Thronender Bischof),
> unbekannter Marienwallfahrtsort (gekrönte Maria mit Kind, stark vergossen),
> Kölner Dom (Gitterwerk mit drei gestaffelten Kreuzen und den drei Königen),
> Wilsnack (drei Hostien mit Kreuzen),
> Brakteat mit einigen gußbedingten Unebenheiten,
> Nikolausberg bei Göttingen (stehender Bischof mit Stab),
> unbekannter Ort (?, Christus am Kreuz), möglicherweise kein Pilgerzeichen.
Die Auswahl der Zeichen ist eine durchaus übliche. So begegnen diese Orte auch auf zahlreichen
altmärkischen Glocken und auf Taufkesseln im Lüneburger Raum.
Dabei ist in unserem Zusammenhang das Vorkommen von Zeichen aus Marienwohlde und Wilsnack bedeutend. Beide Wallfahrtsorte sind nämlich erst seit dem Anfang des 15. Jahrhunderts wichtige Pilgerziele geworden.
In Wilsnack ereignete sich das entscheidende Wunder erst im August 1383. 
Damit dürften diese beiden Pilgerzeichen kaum vor 1400 zur Verfügung gestanden haben, mithin kann die
Glocke auch nicht früher gegossen worden sein.
Zusammenfassung
Die Betrachtung von Kapelle und Glocke mit den jüngst ermittelten Dendrodaten erbrachte einige wichtige Erkenntnisse. Dazu zählt zunächst die Tatsache, dass die Ständerkonstruktion des Holzturms offenbar um
1410 aufgerichtet worden ist. Die Backsteinummauerung dürfte dagegen aus der Zeit der Errichtung
des Glockenstuhls zwischen 1506 und 1526 stammen. Damit bestätigte sich zwar das
Alter des Glockenstuhls (Dehio: „A. 16. Jh.“), aber es zeigte sich zugleich, dass Turm und Glockenstuhl nicht dasselbe Alter aufweisen. Auch dürfte die Backsteinverkleidung des Turmes gleichzeztig mit dem Glockenstuhl
zu datieren sein und damit deutlich älter als bislang angenommen (Dehio: „17. Jh.“).
Für die eigentliche Kapelle wäre zu hoffen, künftig doch noch den Dachstuhl datieren zu können. Letztlich ist die Datierung in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts, die ja lediglich anhand der Gewölbekonsolen erfolgte, nicht unbedingt zwingend, zumal es ähnliche Formen in Salzwedel aus dem Beginn des 15. Jahrhunderts gibt.
Die Glocke dagegen dürfte wohl ebenfalls aus dem frühen 15. Jahrhundert, also der Bauzeit des Holzturms, stammen. Letztlich ist aber auch nicht auszuschließen, dass diese Glocke erst aus der Zeit des Glockenstuhls
stammt, also der Zeit kurz nach 1500. Jedenfalls ist sie nicht vor 1400 entstanden und dementsprechend
auch nicht die älteste Glocke der Region. Dieser Titel dürfte entweder der alten Glocke im Dachreiter der Kirche von Oldenstadt zustehen oder der auf 1332 datierten Glocke des Hermann in Veerßen.
Anmerkungen
1. Strasser, Ernst: Die Kirchenglocken des Kirchenkreises Uelzen. In: Heimatkalender für Stadt und Kreis Uelzen 1962, S. 20–32, hier S.22 und S.27
2. https://de.wikipedia.org/wiki/Georgskapelle_Groß_Liedern, abger. 10. 4. 2020
3. Bachmann, Erich: Art. „Dorfkirchen“. In: Reallexikon zur deutschen Kunstgeschichte, Bd. 4, Stuttgart 1958, Sp. 245–274
4. Dehio, Georg: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Bremen, Niedersachsen (Bearb. Gerd Weiß).
München / Berlin 1992, S. 570
5. Probenentnahme Dirk Wübbenhorst, Groß Sachau, Gutachten Dr. Karl-Uwe Heußner, DAI C 97704 und C 97705, ein Deckenbalken im Schiff (C 97706) war mit 40 Ringen für ein Ergebnis zu kurz.
6. Vgl. Schäffer, Paul: Schnitzaltäre des späten Mittelalters im Kreis Uelzen. Uelzen 1984, S.55 u. S.57
7. Dehio, S.570
8. Ebd.
9. Strasser, S.27f.
10. Wikipedia, wie Anm. 1.
11. Probenentnahme Dirk Wübbenhorst, Groß Sachau, Gutachten Dr. Karl-Uwe Heussner, DAI: Ständer
der Westseite (C 97707)
12. Nicht acht, wie bei Wikipedia angegeben. Das achte „Zeichen“ ist der Abguss eines Hohlpfennigs.
13. Ein herzlicher Dank an Hartmut Kühne, Berlin, für die Hinweise zu den Zeichen aus Marienwohlde und Köln.
14. Hartmut Kühne: August 1383 – Von Hostien und Kerzen, Bauern und ihrem Pfarrer. In: Wunder, Wallfahrt, Widersacher. Die Wilsnackfahrt. Hg. Hartmut Kühne / Anne-Kathrin Ziesak. Regensburg 2000, S. 9–18
15. Dehio, S.570
16. Friske, Matthias: Bronzegießer des frühen 14. Jahrhunderts im östlichen Niedersachsen und der westlichen
Altmark. In: Atamen Westfalia Cantat. Eine Festschrift für Claus Peter zur Vollendung des 70.
Lebensjahres. Gescher 2017 (= Schriften des Deutschen Glockenmuseums, 14), S. 1–24, hier S. 4 und 13